Das Leben der Massai

  • Das Leben der Massai

    Das Leben der Massai

    Dr. László Szabó

     

    Seit Jahren setzt sich die Theologische Hochschule Friedensau für die Massai ein. Obwohl sie wahrscheinlich das bekannteste Volk in Ostafrika sind, stoßen sie bei den Nachbarstämmen nicht auf Gegenliebe. Diese Antipathie hat historische Gründe und gleichzeitig auch schwierige Folgen für das Volk. Unser Kooperationspartner Dr. Godwin Lekundayo, der selbst ein Massai ist, gab uns dafür ein Beispiel, dass Angehörige dieses Stammes oft benachteiligt werden. Es geschah vor Kurzem, dass bei einem Unfallbericht Folgendes in der Zeitung stand: „... es sind acht Menschen gestorben und zwei Massai ...“. Woher kommt diese Spannung, und wie leben die Massai eigentlich?

    Bis heute weigert sich dieses nomadisch lebende Hirtenvolk Modernisierungsprozesse zu akzeptieren. Sie tragen keine westlichen Kleidungsstücke, fahren kaum Autos, pflegen alte Traditionen und Werte. Im 16. Jahrhundert mussten die Massai ihr Land in Ostafrika erobern, als sie vom Norden kamen. Auch später war ihr Leben nicht weniger gefährdet, daher legten sie viel Wert auf Stärke, Selbstüberwindung, Kampfbereitschaft und Disziplin. Auf der einen Seite ist die Natur des Landes der Massai wild und herausfordernd. Wir sprachen in September mit einem fast hundert Jahre alten Massai über die Vergangenheit, über seine Erlebnisse, über Verletzungen. Er zeigte uns mehrere alte Narben auf seinem Oberkörper. Auf unsere Frage hin erklärte er, dass im Gebiet Longido früher so viele Löwen, Elefanten, Giraffen und andere wilde Tiere lebten „wie Gras wuchs“. Er hatte selbst viele Begegnungen mit Löwen und wurde dabei mehrmals schwer verletzt.

    Auf der anderen Seite glauben die Massai, dass Enkai (Gott) alle Kühe für sie geschaffen habe und dies ein Zeichen eines besonderen Privilegs sei. Sie glauben, von Enkai auserwählt zu sein, und sehen sich im Zentrum ihrer Welt. Früher erhoben sie ganz selbstverständlich Anspruch auf die Kühe anderer, und wo es möglich war, haben sie die Kühe auch kurzerhand gestohlen. Nach ihrem Verständnis erschuf Gott drei Gruppen von Menschen: die Torobo, die jagen und sammeln, die Kikuyu, die Landwirtschaft betreiben, und die Massai, die Kühe halten und davon leben. Die Massai sind ein stolzes, selbstbewusstes Volk mit klaren Werten und Vorstellungen.

    Das Volk der Massai teilt Rechte und Pflichten unter männlichen Mitgliedern nach Altersgruppen auf; jeder hat eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Die Kinder hüten das Kleinvieh, wobei die Jungen davon träumen, Moran (Krieger) zu werden. Die Junior-Krieger und die Senior-Krieger nennen sie Moran; sie sind für die Verteidigung des Volkes und ihrer Viehherden verantwortlich. Sie waren früher diejenigen, die die Nachbarvölker überfielen, um Vieh zu stehlen. Die Junior-Ältesten und Senior-Ältesten wählen einen Rat, der die Entscheidungen über Dorfangelegenheiten trifft. Die Frauen werden nicht in gleicher Weise gruppiert.

    Wie man es bereits vermuten kann, braucht diese Lebensweise eine andere Art von Erziehung, als es in unseren Ländern üblich ist. Die traditionelle Erziehung der Massai hilft Kindern und Jugendlichen, Angst zu überwinden, Schmerzen zu ertragen und Aufgaben zu übernehmen. Schon die kleinen Kinder sollen mit ihrem Vieh in der Wildnis alleine bestehen und mit Gefahren zurecht kommen können.

    Die „Reifeprüfung“ kommt im Alter von zwölf bis dreizehn Jahren, wenn die Beschneidung durchgeführt wird. Wenn das unbegreiflich schmerzhafte Ritual ohne Anzeichen von jeglicher Schwäche gelingt, wird man ein Moran und führt künftig ein sehr raues Leben. Um sich auf die möglichen Kriege vorzubereiten, verbringen die Jungs mehrere Wochen oder sogar Monate im Busch, wo die älteren Moran sie in die Kultur und Traditionen der Massai einführen. Auch die Mädchen werden auf eine „Mutprobe“ gestellt. Das Ritual der Beschneidung der Frauen fügt ihnen noch wesentlich größere Schmerzen zu, mit lebenslangen Folgen. Danach sind sie aber berechtigt zu heiraten und Kinder zu bekommen.

    Diese alte traditionelle Lebensweise der Massai könnte noch wahrscheinlich jahrhundertelang so weitergehen, wenn politische Entscheidungen ihren Lebensraum nicht radikal verändern würden, wenn infolge der Klimaveränderung ihr Vieh nicht massenweise sterben würde und die Massai dadurch in eine echte Existenznot geraten würden und der Stamm nicht mehr und mehr auf die Kommunikation, Interaktion und Zusammenarbeit mit anderen angewiesen wäre. Durch diese Veränderungen erleben die Massai stetig wachsende Lebensbedrohung, Hoffnungslosigkeit und Zwang zur Anpassung: Sie sind ständig auf der Suche nach Lösungen.

    Genau diese Herausforderungen veranlassten Friedensauer Dozenten, sich gemeinsam mit Studierenden für die Massai einzusetzen. Im Gebiet Longido, Tansania, entstand eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Friedensauern und den Massai. In den letzten Jahren sind neun Schulen gegründet worden, wo etwa 500 Massai-Kinder Swaheli, Englisch, Mathematik, Schreiben und Lesen lernen können. Zwar kommt es auch heute noch vor, dass die Jungen aus der Schule genommen und in die Berge zur traditionellen Massai-Ausbildung gebracht werden, aber hier setzt langsam ein Umdenken ein. Die Eltern haben den Wert der Bildung erkannt und sind bereit, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die dreizehn Gemeinden, die im Entstehen sind, schaffen Strukturen, wo auch Frauen sich zusammenschließen und gemeinsam Projekte gestalten können. Viele sind dankbar für die Freundschaft und Zusammenarbeit, wie ein alter Massai, der seine Erfahrungen mit einem vor Freude strahlenden Gesicht in Worte fasste: „Danke für die neue Heimat, die ich bei Gott gefunden habe, und für die neue Hoffnung, die ich entdeckt habe.“ Dies gibt ihnen Kraft und Mut in den Herausforderungen; sie wollen sie nicht mehr vermissen. Sie wollen kein Zusammensein ohne Gebet beginnen, nicht ohne Segnung nach Hause gehen.

    Wer jemals an den Reisen nach Tansania teilgenommen hat, kommt als ein anderer zurück. Kein Student fährt ohne Geschenke, ohne neue Freundschaften nach Hause, und auch die Behörden bringen ihre Wertschätzung für die Arbeit des Teams aus Friedensau nicht nur mit Worten, sondern auch schriftlich zum Ausdruck. Die Arbeit bei den Massai ist eine unglaublich tiefe und wertvolle Erfahrung, die auch den Theologie-Studenten neue Horizonte eröffnet.

     

     


     
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