Selbstbilder von Pastoren der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland und die Konsequenzen für die berufliche Identität-
Insbesondere in Hinblick auf Berufsabbrüche in Lebenskrisen.
von Dagmar Janssen
Einleitende Gedanken
Das Thema Ausscheiden aus dem Pastorendienst ist ein über viele Denominationen verbreitetes, emotional besetztes Thema. Dieser traurige Trend, wird auch von Pastoren anderer Kirchen wahrgenommen und erörtert, jedoch gibt es bisher kaum evidenzbasierende Untersuchungen, die belastbare Antworten geben auf die Frage, warum Pastoren ihren Beruf aufgeben.
Daher war es das Ziel der Thesis, auf Basis empirischer Untersuchungen begründete Antworten auf die Frage nach Gründen von Berufsabbrüchen speziell und im Besonderen von Pastoren der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland zu geben.
Seit Jahren steckt die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten nicht nur in einer zahlenmäßigen Stagnation der Mitgliederzahlen, sondern auch in einer Stagnation mit der Tendenz der Rückläufigkeit der Pastorenzahlen in Deutschland. Vielerorts hört man die Aussage, die Freikirche sei mit der Tatsache des Predigermangels konfrontiert. Die Folgen der Stagnation bzw. des Rückgangs der Pastoren in Deutschland spüren die amtierenden Pastoren dadurch, dass ihre Bezirke immer größer werden, sie als alleinige Ansprechpartner für mehrere Gemeinden da sind und der Vielfalt der Bedürfnisse aller Gemeindemitglieder gerecht werden müssen. Vielerorts hört man die Menschen in den Kirchengemeinden sagen, dass sie sich vom Pastor vernachlässigt fühlten; sie äußern die Erwartung einen höheren Präsenz des Pastors. So entstehen Spannungen und Unzufriedenheit zwischen Pastoren und Gemeindemitgliedern, die die Beziehungen belasten und Pastoren an ihre Grenzen führen. Dadurch sinkt auch der Grad der Zufriedenheit mit sich selbst und mit den eigenen Kompetenzen im Umgang mit der Komplexität der beruflichen Anforderungen, so dass nicht selten Zweifel an der eigenen Berufswahl entstehen.
Die Fragestellungen in diesem Zusammenhang waren die folgenden:
Aufgrund der Aktualität des Pastorenmangels und der immer wieder erfolgenden Berufsabbrüche von adventistischen Pastoren in der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland sollte diese Arbeit einen wissenschaftlichen Beitrag zu der Fragestellung leisten, inwieweit das subjektive berufliche Selbstbild eines Pastors und die Konfrontation mit der Berufsrealität das Risiko eines Berufsabbruchs bedingen.
Hypothesen
Die Hypothesen der wissenschaftlichen Forschung lauten deshalb:
Methode
Um Antworten auf das vorliegende Forschungsthema zu bekommen, wurde die empirische Forschungsmethode der Umfrage gewählt.
Die Umfrage wurde von Januar bis Mai 2019 unter allen aktiven und verrenteten Pastoren in Deutschland, sowie ehemaligen adventistischen Pastoren in adventistischen Institutionen in Deutschland verteilt. (Medienzentrum Stimme der Hoffnung, Adventverlag Lüneburg und Schulzentrum Marienhöhe) Ebenso wurden Umfragebögen direkt an Studierende der Theologischen Hochschule Friedensau verteilt.
Insgesamt erfolgt die Auswertung der Umfrage auf Basis von 244 verwertbaren Datensätzen.
Ergebnisse
Zur Hypothese 1:
Die herausgearbeiteten sehr unterschiedlich geprägten Identitäten beeinflussen das berufliche Handeln der Pastoren und generieren individuelle Chancen und Grenzen im beruflichen Alltag. Dem Arbeitgeber und den Gemeinden begegnen Mitarbeiter mit sehr persönlichen Einstellungen, Wertesystemen und Bedürfnislagen, die sich in Form von subjektiv gestalteten Entscheidungsprozessen niederschlagen. Dieses individuelle Selbstverständnis wahrzunehmen und ihm wertschätzend unter systemischer Perspektive zu begegnen, stellt sicherlich eine Herausforderung im kirchensystemischen Kontext dar. Es ist meines Erachtens jedoch eine wichtige Voraussetzung dafür, um im pastoralen Berufsalltag in konstruktive wechselseitige Entscheidungsprozesse eintreten zu können. Wenn es gelingt, eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre zu schaffen, in der eine Balance zwischen individueller Entfaltung, persönlicher Entwicklung und den institutionellen Bedürfnissen gibt, können einvernehmliche berufliche Prozesse durchgeführt werden. In so einem Arbeitsklima fühlen sich Mitarbeiter in ihrer Individualität und Bedürfnislage ernst- und wahrgenommen und sind dadurch auch bereit, auf die Bedürfnisse und Wünsche der verschiedenen Erwartungssysteme wertschätzend zu reagieren. Durch die vertrauensvolle Interaktion wächst Bindung und Identifikation mit der Kirche und die berufliche Identität wird gefestigt.
Zu Hypothese 2:
Janssen, D. (2019)[i] untersuchte Selbstbilder adventistischer Pastoren im deutschsprachigen Raum im Hinblick auf ihre Identität und Berufsabbrüchen. 66,3% der 240 befragten deutschsprachigen Geistlichen berichten über Berufsabbruchgedanken. Diese Gedanken sind ein ständiger Begleiter unter Pastoren. In den einzelnen Lebensphasen, in der Ausprägung der Spiritualität sowie zwischen drei beruflichen pastoralen Selbstbildern zeigen sich keine signifikanten Unterschiede in der Häufig dieses Gedankens.
Weder die geistliche Grundausrichtung (liberal/konservativ) noch die besuchten theologischen Ausbildungsstätten haben einen signifikanten Einfluss auf die Häufigkeit des Ausstiegsgedankens.
Vielmehr sind es die Pastoren, die sich innerlich distanzieren können, Konflikte emotional gut verarbeiten können, ihre eigenen Bedürfnisse spüren und stillen, Nähe und Distanz im Beruf gut regeln können und ihren Beruf authentisch ausleben können, die ihren Beruf signifikant häufiger fortführen (ein Drittel der Befragten).
Ein weiterer Faktor, der zum „Bleiben“ bewegt, ist die Identität (Glaube, Mission, Ekklesiologie, Gesundheitsbewusster Lebensstil) mit der Freikirche und die Loyalität ihr gegenüber. Die Stärke der Identität und Loyalität stabilisiert sich im Laufe der Lebensphasen. Nur bei einem Drittel der adventistischen Pastoren kann davon ausgegangen werden, dass ihr berufliches Selbstbild sinnstiftend (ist) und die adventistische Identität stärkt und ihre Bindung an die Freikirche und zum ausgeübten Beruf nachhaltig fördert und festigt.
Betrachten wir diese Tatsache unter bindungstheoretischem Gesichtspunkt, so muss überlegt werden, welche identitätsbildenden Maßnahmen im Rahmen der akademischen Ausbildung, während des Praktikums, beim Berufseinstieg sowie innerhalb der ersten Berufsjahre ergriffen werden können, um die oben beschriebenen Facetten des Faktors Loyalität zu fördern und unterstützend darauf einzuwirken, dass diese wichtigen Aspekte Teil des beruflichen Selbstverständnisses adventistischer Pastoren werden und somit frühzeitig die Identifikation mit der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland und darüber hinaus stärken.
Persönliche Gedanken
Wenn von einem gelingenden Identitätsbildungsprozess abhängig ist, ob Pastoren in beruflichen Krisen sich die Fragen Wer bin ich?, Wie will ich sein? nachhaltig und mit tragender Sinnhaftigkeit für den Pastorenberuf beantworten können, müssen zeitliche, personelle und strukturelle Ressourcen hierfür zur Verfügung stehen. Die hohe Arbeitsdichte, die bereits Studierende ab dem ersten Semester ihrer akademischen Ausbildung erleben und die Pastoren im aktiven Dienst durch die Fülle von öffentlichen, gemeindeinternen und Einzelterminen erleben, machen ein regelmäßiges bewusstes Innehalten kaum bis gar nicht möglich.
Seinen Mitarbeitern Ressourcen für gelingende Selbstexploration zur Verfügung zu stellen, ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal der ganzheitlichen Gesundheitsfürsorge und -vorsorge für die Pastorenschaft. Supervision mit unabhängigen professionellen Supervisoren, Personalstellen für Personal Coaches, die auf regionaler Ebene Prozesse begleiten, ein Konzept für regelmäßige, konstruktive Mitarbeitergespräche und das bewusste zur Verfügung stellen von Zeit für einen persönlichen Prozess der geistlichen Neuausrichtung sollten als Qualitätsstandards festgeschrieben sein.
Mit Blick auf den Pastorenmangel in Deutschland soll das Ergebnis dieser Arbeit dazu ermutigen, auf breiter administrativer Ebene über identitätsbildende Konzepte nachzudenken. Um nachhaltige Reflexionsprozesse zu ermöglichen, müssen Konzepte entwickelt und Strukturen geschaffen werden, die dem einzelnen Mitarbeiter in eine m geschützten Rahmen und einer wertschätzenden, vertrauensvollen Atmosphäre die Möglichkeit geben, kritische Glaubensfragen und existentielle Zweifel formulieren zu dürfen. Wenn Pastoren und auch bereits Studierenden dieser Freiraum zur Verfügung steht, können sich kongruente, authentische Selbstbilder entwickeln. Dann wird es möglich sein, eine adventistische Identität harmonisch in das authentische Selbst, das heißt in das eigene berufliche Selbstverständnis zu integrieren. Durch das Erleben der eigenen Authentizität steigt die Zufriedenheit mit sich selbst, das berufliche Handeln wird stimmig und sinnvoll erlebt und Konfliktsituationen kann selbstbewusster begegnet werden. Wenn durch diesen selbstbestimmten Prozess ein Selbstbild eines loyalen Pastors entsteht, dann wächst natürliche Identifikation und nachhaltige Bindung an den Beruf als Pastor und die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten als Institution.
Es sollte Ziel und geistlicher Auftrag des Personalmanagements werden, gelingende Identitätsentwicklungsprozesse für Pastoren ins Zentrum seiner Konzepte zu stellen. Das in der Sabbattheologie begründete Ruhe- und Feiertagsverständnis der Adventisten beitet meines Erachtens die besten Voraussetzungen dafür, das vermeintliche Risiko einzugehen, zeitliche und organisatorische Ressourcen für Supervision und Selbstreflektion zu investieren, um dem einzelnen Pastor die Auseinandersetzung mit Zweifeln, Neuorientierung, Stabilisierung und Identitätsstärkung zu ermöglichen. Solche Pastoren wären dann vermutlich besser ausgerüstet, um kompetent und mit innerer Stärke mittel- und langfristig ihren Dienst zu erfüllen. So könnte der Problematik der Studien und Berufsabbrüche effektiv begegnet und damit dem Predigermangel erfolgreich entgegengewirkt werden. Langfristig könnte sich ein moderneres Pastorenselbstverständnis beim einzelnen Pastor, in der Kirchengemeinde und in der Kirchengemeinschaft insgesamt entwickeln, das trotzdem oder gerade deswegen fest auf den biblischen Vorbildern und Glaubenswerten fußt.