Brücke oder Sackgasse?
Christliches Zeugnis in der heutigen Gesellschaft
Dr. László Szabó
Der Wert des Zeugnisses und die Gesellschaft
„Zeugnis geben“ kling sehr christlich! Eine Gotteserfahrung oder eine radikale Lebensveränderung führt zur Bekehrung oder zur Neubelebung des Glaubens – ein Christ wird durch diese innere Wandlung ergriffen, motiviert und sogar begeistert, auch anderen davon zu erzählen. Der Enthusiasmus endet aber oft in einer ernüchternden Enttäuschung, denn er wirkt für viele eher störend, enttäuschend, irrelevant und unrealistisch. Gibt es jemanden, der das christliche Zeugnis noch hören möchte?
Scheinbar kann man in der heutigen Konsumgesellschaft fast alles verkaufen, weitergeben, anbieten. Die Überfülle von Angeboten an Produkten, Dienstleistungen, Medien und Spielen wird von vielen Zeitgenossen intensiv genutzt. Wenn daher die Gesellschaft kaum noch Raum und Interesse an unserem Zeugnis hat, erschient dies als eine Abwertung, ja vernichtende Beurteilung unserer Werte und Erfahrungen. Glaubensthemen scheinen für die meisten weniger relevant und brauchbar zu sein als über Filme, Spiele oder tote Geräte zu reden. Das bringt etliche Christen sogar zum Schweigen, um unangenehme Enttäuschungen zu vermeiden.
Gibt es für Christen einen besseren Weg als das Schweigen über Glaubensfragen? Wir wollen doch die wertvolle christliche Alternative nicht verschweigen, besonders wenn es um Lebensgestaltung und Krisenbewältigung geht! Die gesellschaftliche Entwicklung zeigt einige Trends, die in vielen Lebensbereichen ein beunruhigendes Vakuum hervorbringen. Viele sind auf der Suche nach Ziel und Sinn im Leben. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft und tiefen Beziehungen bleibt oft unerfüllt. Der Wunsch danach, geliebt, respektiert, gehört und verstanden zu werden ist für viele eine erhebliche Herausforderung. Die Verständigung von Mensch zu Mensch ist immer noch ein riesiges Problem. Die Worte haben aber in der Öffentlichkeit eine gewaltige Inflation erlebt – und wenn unser „Zeugnis“ nur aus standardisierten Antworten auf ungestellte Fragen besteht, brauchen wir nicht zu staunen, dass wir nicht gehört werden. Die Sprachlosigkeit zwischen der Gesellschaft und Christen wird nicht durch unsere (für die Gesellschaft scheinbar irrelevanten) Werte verursacht, sondern durch Kommunikationsprozesse, die das Interesse und das Vertrauen hemmen. Traditionelle Werte verschwinden langsam; das entstehende Vakuum bleibt und stört viele. Echtheit, Relevanz und Authentizität sind gesucht. Sind sie in unserem Zeugnis vorhanden? Wenn wir etwas Wichtiges mitteilen wollen, müssen wir verstehen, wie wir es mitteilen können. Eine mögliche Lösung dafür beschreibt Paulus in Kolosser 4,2–6.
Bevor Gott die Türen aufmacht...
Die Worte von Paulus enthüllen seine „Methode“ für die Mission, die auch heute noch relevant ist. Gutes Zeugnis beginnt nicht mit Reden zum Mitmenschen, sondern im Gespräch mit Jesus. „Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!“, sagt Paulus. Das Gebet ist mit Zeugnisgeben eng verbunden. Wenn ich Zeugnis gebe, spreche ich zu meinen Freunden über Jesus. Im Gebet spreche ich zu Jesus über meine Freunde. Schreibe die Namen deiner Freunde auf, hänge sie in deiner Wohnung an deiner Gebetstelle aus und bete für sie regelmäßig. Es bringt Segen in ihr Leben, und durch diese Gespräche mit Jesus kann er auch dich formen, leiten und für die weitere Schritte ausbilden.
Diese Dialoge mit Gott öffnen uns die Augen, und wir entdecken, wie reichlich wir von Gott beschenkt worden sind. Nur der kann wirklich dankbar sein, der seinen Reichtum entdeckt hat. Schon Cicero bemerkte: „Dankbarkeit ist nicht nur die größte aller Tugenden, sondern auch die Mutter von allen.“ Sie kostet nichts, tut allen gut und verleiht auch einem Christen eine wertvolle Ausstrahlung. Sie ist ein Zeichen eines positiven Gemütes, das wohltuenden Einfluss ausbreitet.
Gott sorgt für offene Türe, es ist in Seinem Interesse
Paulus beschreibt in Kolosser 4,3–4 außerdem drei wesentliche Schritte für seine Mission. Schritt eins ist nach Paulus: „Betet zugleich … , dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue“. Diese Worte sind für mich persönlich sehr ermutigend. Die Verantwortung für die Gelegenheit liegt bei Gott. Ich kann nach meiner Vorbereitung entspannt losgehen, Gott vertrauen und sicher sein, denn er tut seinen Teil vollkommen. Ich brauche keine Gespräche durch zwanghafte Methoden zu erzwingen, die sogar für mich selber unangenehm sind. Meine Aufgabe ist es einfach, in der Gesellschaft und besonders unter meinen Freunden präsent zu sein, Menschen zu begegnen, bei bestimmten Gelegenheiten ruhig zu sein, zuhören zu können, Fragen und offene Türen zu entdecken. Dankbarkeit, eine positive Lebenshaltung und Hoffnung sind ausgezeichnete Türöffner in der Hand Gottes.
Ich erlebe oft an sehr unterschiedlichen Stellen, dass während Unterhaltungen Fragen gestellt werden und unerwartete Offenheit erscheint. Solche Gespräche beginnen im Krankenhaus, im Flugzeug, an der Straße, im Auto, im Restaurant. Es ist faszinierend zu erleben, dass Gott uns schon weit vorausgegangen ist, um solche Gelegenheiten vorzubereiten. Seine Logistik ist überwältigend. Ich traf schon Suchende aus der Dominikanischen Republik in Madrid und deutsche Touristen mit Fragen über Gott in einem Restaurant in Ungarn. Aber die beste Zielgruppe ist immer die, deren Namen auf meiner Liste stehen. Zum Glück entdecken wir geöffnete Türen und Interessierte an Fragen über Gott nur hier und da und nicht alle gleichzeitig! Auch das gehört zur Logistik Gottes. Dadurch gibt er uns Zeit, sodass wir nicht von unseren Aufgaben erdrückt werden, sondern Ruhe und Zeit für die Fragen des einzelnen haben, um relevante Antworten geben zu können. Bete um geöffnete Türen, und sei aufmerksam, denn Gott erhört solche Gebete gern! Sorge für deine Vorbereitung – und dann verbringe viel Zeit mit Menschen, damit dein Licht auch anderen leuchten kann.
Auch Mut ist ein Geschenk Gottes
Es ist aber nicht genug, Gelegenheiten für das Zeugnisgeben zu erkennen. Viele kennen auch das beklemmende Gefühl, wenn wir keinen Mut haben sie wahrzunehmen – oder einfach unfähig sind, solche Chancen zu nutzen. Auch Paulus kannte dies, und ich glaube, deswegen legte er Wert auch darauf, dass sogar die ganze Gemeinde in Kolossä darum betet, dass „wir das Geheimnis Christi sagen können“. Die Herausforderung, wenn ein Christ in einer nichtreligiösen Umgebung befragt wird, ist keinesfalls zu unterschätzen! Einmal wurde mir im Krankenhaus von einer Schwester die Frage gestellt, wie ich überhaupt die Idee hatte, an Gott zu glauben. Als die Frage ausgesprochen war, wurden alle Leute in der Umgebung sofort still. Ich merkte, dass jeder sorgfältig zuhört … Einmal lud mich das Gymnasium, wo ich mein Abitur abgelegt hatte, ein, den Abiturienten Vorträge über Gott zu halten. Es war schon ein seltsames Gefühl, meinen ehemaligen Lehrern zu begegnen und vor ihnen Zeugnis zu geben. Wir brauchen also auf jeden Fall Mut, um offene Türen für das Zeugnisgeben wahrzunehmen. Dieser Mut ist genauso ein Geschenk Gottes wie die Gelegenheit selbst. Bete darum – als zweiter Teil deines täglichen Gebetes für die Mission. Wenn Gott die erste Bitte erhört, hat beantwortet er sicherlich auch die zweite!
In der Kürze liegt die Würze
Offene Türen und mutige Christen können aber tatsächlich immer noch gefährlich für die Sache Gottes und für Suchende sein! Manche ergreifen die aufkommende Chance – und überschütten den Suchenden aus reiner Begeisterung oder Verlegenheit mit hochreligiösen Themen, gefüllt mit abstrakten „himmlischen“ Begriffen, mit Antworten auf nie gestellte Fragen und nicht nachvollziehbaren Ratschlägen. Wenn so etwas geschieht, ist es kein Wunder, dass sogar unsere besten Freunde das Gespräch über Glaubensfragen mit uns vermeiden und eher die Freundschaft aufgeben, als so etwas noch einmal über sich ergehen zu lassen. Sogar Paulus kannte diese Herausforderung, bat die Gemeinde um Gebet auch in dieser Hinsicht und ermahnte auch sie, wichtigen Prinzipien nicht vor Augen zu verlieren: „Betet für uns, ... damit ich das Geheimnis Christi offenbar mache, wie ich es sagen muss“.
Das Ergebnis eines Zeugnisses soll nicht eine tolle Erfahrung für mich sein – sondern mein Gesprächspartner soll das Geheimnis Christi erkennen. Dafür soll ich mich laut Paulus weise verhalten, die Zeit auskaufen, „allezeit freundlich und mit Salz gewürzt“ reden. Dieses rücksichtsvolle Verhalten bedeutet heute, dass ich zuerst zuhöre und erkenne, wo der andere steht. Ich präsentiere Offenheit, stelle Fragen, weil ich echtes Interesse an Menschen habe. Wenn ich offenen Türen begegne, spreche ich kurz und prägnant, da Menschen heutzutage keine Predigten auf offener Straße hören wollen, sondern uns höchstens 3 bis 4 Minuten geben. Um die Tiefe der Weisheit Christi in dieser kurzen Zeit zu offenbaren, brauche ich wirklich Weisheit Gottes, die mir aber genauso von ihm gegeben werden kann wie die offene Tür selbst und Mut.