Mission in Deutschland – nicht zu schaffen!?
Der Anfang - ein einsamer Missionar auf dem deutschen Missionsfeld

  • Mission in Deutschland – nicht zu schaffen!?

    Mission in Deutschland – nicht zu schaffen!?

    Der Anfang - ein einsamer Missionar auf dem deutschen Missionsfeld

    Dr. László Szabó

     

    Die Aussage eines Umherziehenden war 1875 dafür genug, den Prozess der Gründung der ersten Adventgemeinden in Deutschland auszulösen. Durch ihn gelangte nämlich die Nachricht darüber zu John Andrews und Jakob Erzberger in die Schweiz, dass in Wuppertal-Vohwinkel Christen unter der Leitung des Webers Johann Lindermann den Sabbat hielten. Das verstanden die Missionare als Zeichen Gottes, um die Mission unter den Deutschen zu beginnen. Ein kurzer Besuch bestätigte dies und Erzberger setzte seine Arbeit im Deutschen Reich fort. Als einziger Missionar setzte er sich für das große Land ein, in dem im Jahre 1875 über 42 Millionen Menschen lebten. Ihm standen weder Verlagshäuser noch Traktate, andere Medien oder hilfsbereite Gemeinden zur Verfügung, nur seine Bibel – aber sie war für ihn völlig genug. Er war ein Mann der Bibelstunden und mit vorbildlichem Ausdauer und Fleiß besuchte er die Leute und arbeitete bis 1878 alleine auf dem neuen Missionsfeld der Adventisten, das heute Deutschland heißt. Es entstanden bald zwei Gemeinden, Vohwinkel und Solingen. Damit begann ein Prozess des Wachstums, das später weit über die Grenzen Deutschlands hinaus Früchte tragen konnte.

     

    Eine Bewegung kommt ins Rollen

    Die Entwicklung der Adventmission in Deutschland ist eine faszinierende Geschichte. Leiter, Prediger, Lehrer und Gemeindeglieder haben immer wieder bewiesen, dass sie nicht auf die unmöglichen Umstände schauten, sondern zielbewusst und wohlorganisiert für die Vision von Gott lebten. Besonders nach 1889 war das sichtbar, als Conradi von Hamburg aus die deutsche Advent-Mission leitete. Die kleine Gemeinde in Deutschland gründete in 1899 die Missions- und Industrieschule in Friedensau und die Ausbreitung der Adventbewegung in Deutschland, in weiten Teilen Europas und darüber hinaus auch im Nahen Osten, in verschiedenen Gebieten Afrikas, in Südamerika und Asien begann. Die Gemeinschaft hatte damals zwar nur ein paar hundert bis zweitausend Gemeindeglieder – aber es waren Menschen mit einer großen Vision!

     

    Ist der Höhepunkt erreicht? Wenn ja, was kommt danach?

    Erzberger wäre bestimmt begeistert, wenn er heute sehen könnte, wie die Gemeinde gewachsen ist und arbeitet: Zehntausende Adventisten sind heute dort, wo er einst alleine war; Hunderte von Gemeinden mit eigenen Gemeindehäusern sind aus den bescheidenen Anfängen erwachsen. Er hatte nur seine deutsche Bibel dabei, aber heute erscheint eine Überfülle von deutscher Literatur durch unser Verlagshaus; Bibellehrbriefe, Radiosendungen, Fernsehsendungen, Internetmission der Adventgemeinde sind auch dort zu empfangen, wo Adventisten noch nicht anzutreffen sind. Dabei haben wir über das AWW, ADRA, den DVG, die Kinder und Jugendarbeit und noch viele andere Bereiche der Mission noch gar nicht gesprochen! Fast alle Lebensbereiche deckt unsere Kirche mit ihren Diensten ab. Wenn wir einen Rückblick halten, können wir gewiss über die Entwicklung und heutigen Möglichkeiten der Adventgemeinde dankbar sein. Im Prinzip sollten wir heute in der Mission am effektivsten sein und mit großer Freude in die Zukunft schauen können, denn die Grundlagen und die Bedingungen scheinen für die Mission so gut zu sein, wie es noch nie gewesen ist. Doch genau an diesem Punkt entdecken wir echte Herausforderungen. Wenn wir in die Zukunft schauen, entstehen Fragen, die wir beantworten sollten. Die Frustration und Ratlosigkeit vieler bezüglich unserer Mission ist immer mehr spürbar. Die Lage sieht nicht so rosig aus, wie wir uns wünschen würden. Haben wir eventuell den Höhepunkt in der Entwicklung der Gemeinschaft erreicht? Wenn das so ist, was kommt danach? Diese Problematik steht im Mittelpunkt der Untersuchungen im Arthur Daniells Institute für Missionswissenschaften (ADIMIS) in Friedensau.

     

    Die internen Herausforderungen der Gemeinde

    Aus der Bewegung entstand eine Freikirche mit all den Konsequenzen, die damit verbunden sind. In vielen Bereichen ist es spürbar, dass die Adventbewegung mindestens in den westlichen Ländern lahm geworden ist. Hier erwähne ich nur drei Bereiche der internen Herausforderungen der Gemeinde, ohne theologische und soziale Aspekte zu erörtern, die ja auch sehr wichtig sind, aber viel schwieriger wissenschaftlich gemessen und analysiert werden können.

     

    Die Krise in der Entwicklung der Alterststruktur: Zwar haben wir 570 Gemeinden in Deutschland, aber viele davon erleben kein Wachstum. Schon grobe Analysen der Altersstruktur zeigen, dass eine große Zahl von den Ortsgemeinden in wenigen Jahren in eine Krise geraten wird, wenn die heute noch aktive ältere Generation aus dem aktiven Dienst aussteigt und im Dienst – aber auch finanziell – nicht mehr tatkräftig mittragen kann. Statt Wachstum erleben manche Gemeinden einen Sterbeprozess.

     

    Die finanzielle Krise: Die Folgen dessen werden auch in den Finanzen radikal spürbar. Wenn wir statt in die Mission zu investieren uns allein das Erhalten der Gemeindehäuser und der bisherigen Strukturen der Freikirche konzentrieren, wird dies zur finanziellen Überlastung führen. Die Finanzen zwingen die Gemeinschaft auch in Deutschland zur Rationalisierung, was ja oft Zusammenlegung, Schrumpfung bedeutet und Rückzug von Stadtteilen, Städten und Dörfern. Doch das ist eigentlich das Gegenteil von Ausbreitung und Wachstum, was ja lebensnotwendig für Zukunft der Gemeinde ist.

     

    Die Krise der Missionsmethoden: Erzberger hat hauptsächlich Bibelstunden gegeben und auch die späteren Missionare haben nur wenige Methoden für die Verkündigung verwendet. Trotzdem geschah Wachstum. Die damaligen Missionsmethoden entstanden in den westlichen Ländern und wurden überall erfolgreich verwendet. In Tansania zum Beispiel schwärmen die Alten immer noch über die deutschen Missionare, wie strukturiert und organisiert sie arbeiteten. Heute aber versagen anscheinend die Methoden dort, wo am meisten studiert, geforscht und geplant wird, und Gemeinden wachsen in den Ländern am meisten, wo die viele nicht einmal lesen können. Nach viel erfolgslosem Einsatz in Deutschland bleibt in zahlreichen Gemeinden nur Ratlosigkeit, was jetzt zu tun ist. Die Überfülle an Möglichkeiten, Materialen und kreativen Aktivitäten scheinen genau in dem Bereich wenig effektiv zu sein, wo die Gemeinde am meisten Not hat: im Gemeindewachstum. Versagt heute das Evangelium, unser Missionsverständnis oder ist einfach in der Überfülle von Tätigkeiten verloren gegangen?

     

    Die externen Herausforderungen an die Gemeinde

    Außer den inneren gibt es etliche externe Herausforderungen, die die Mission unserer Kirche auf die Probe stellen. Vor etwa 100 Jahren hat man viel mehr in Ländern gedacht, wenn es um unerreichte Gebiete ging, und Deutschland zählte bald zu den erreichten Ländern. Heute hat sich diese Lage aber wesentlich verändert. Wir können nicht mehr in Ländern denken. Die etwa 11.500 unerreichten Städte  und Dörfer in Deutschland zeigen im Vergleich mit den 570 existierenden Gemeinden die geographische Herausforderung auch innerhalb Deutschlands.

     

    Die soziodemographische Segmentierung stellt die Adventgemeinde darüber hinaus vor eine sehr komplexe gesellschaftliche Herausforderung. Das Modell der „Sinus-Milieus“ in Deutschland zeigt, dass die etwa 81 Millionen Einwohner in zehn unterschiedliche Milieus eingeteilt werden können. Die Menschen in diesen Milieus sind unterschiedlich in ihrer gesellschaftlichen Herkunft, in Bildung, ihrer Tätigkeit, der Beziehung zum Glauben und oft auch im Alter und Geschlecht. Die Leistungsindividualisten (11%) zum Beispiel kommen aus einem „guten Hause“, haben hohen Anteil an besser gebildeten Personen, finden das Leben angenehm und bewältigbar, wollen wenig Verpflichtungen eingehen, erleben moralische Grundsätze als Einengung und die Religion spielt für sie so gut wie keine Rolle. Die etablierten Leistungsträger (15%) zeigen große Zufriedenheit mit ihrem Leben und der Glaube hat für sie kaum Orientierungsfunktion. Die kritischen Bildungseliten (9%) haben ihren Platz im Leben noch nicht gefunden, aber die Lösung für die Unzufriedenheit liegt für sie in der Bildung und der Glaube spielt in ihrem Leben kaum eine Rolle. Die bedrohte Arbeitnehmermitte (16%) zeigt stärkere Verunsicherung in Bezug auf das eigene Leben und die Zukunft, fühlen sich alleingelassen, finden wenig Rückhalt in Sozialkontakten und haben kaum Bezug zu Religion und Glauben. Sie glauben durch eigene Flexibilität, Lernfähigkeit und Materielles die Unsicherheit kompensieren zu können. Das abgehängte Prekariat (8%) kämpft mit Arbeitslosigkeit, erlebt gesellschaftlichen Abstieg, zeigt Verunsicherung und fühlt sich auf der Verliererseite. Sie haben kaum etwas, was ihnen Orientierung gibt, sind meistens konfessionslos und ziehen sich ins Private zurück. Die Reihe könnte noch mit dem engagierten Bürgertum (10%), den zufriedenen Aufsteigern (13%), und den selbstgenügsamen Traditionalisten (11%) fortgesetzt werden. Unsere Freikirche ist nur in etwa 2-3 Milieus richtig präsent und hat mit der Frage zu kämpfen, wie auch die anderen erreicht werden könnten. Deutschland ist aber im Umbruch und die Entwicklungen in der Wirtschaft, Demographie, Gesellschaft und Politik bewirken einen fortlaufenden Prozess der Veränderung, die auch Gutbewährtes oft schnell veralten lässt und von unserer Kirche ständige Erneuerung, Flexibilität, Offenheit, Beweglichkeit und Lebensnähe in der Beziehung zur Gesellschaft fordert. An diesem Veränderungsprozess beteiligen sich auch die Medien kräftig. Sie nehmen immer mehr Zeit in Anspruch, aber da die Freizeit schon ausgeschöpft ist, nehmen die Menschen von anderen Lebensbereichen die Zeit für die Medien weg: von Familie, Sport, Bildung und sogar auch von der Gemeinde. Ja, die Medien haben die Macht, auch das Leben der Gemeindeglieder umzugestalten.

     

    Die Kulturelle Herausforderung

    Schon in 2005 sagte die Delphi-Studie aus, dass sich Deutschland im Zuge des demographischen Wandelns zu einem Einwanderungsland entwickelt und daher muss in der Zukunft mit mehr kulturellen Konflikten gerechnet werden. In der alternden Gesellschaft und einer Adventgemeinde, die durch den Alterungsprozess an Flexibilität verlieren könnte, führt dies natürlicherweise zu einer kulturellen Herausforderung. Kein EU-Land hat mehr Ausländer als Deutschland; ihr prozentualer Anteil liegt bei etwa 8,8%, was ja über 7 Millionen Menschen bedeutet, die kulturell und sozial ganz anders geprägt sein können, als unsere Gemeinden es sind. Die Statistiken über die Verteilung der Ausländer in Deutschland nach ihrem Herkunftsland listen 75 Nationen auf. Eigentlich steht die Gemeinde in Deutschland vor der Aufgabe der Weltmission innerhalb der eigenen Grenzen, denn hier ist fast die ganze Welt vertreten.

     

    Ist Mission überhaupt noch zu schaffen?

    Die erlebten Herausforderungen lassen viele die Frage stellen, ob Mission überhaupt noch zu schaffen ist. Aber die Mission war eigentlich immer schon eine Herausforderung, die ohne Gottes Plan und Leitung nicht überwunden werden konnte. Darüber könnte auch Erzberger sicherlich viel erzählen. Wenn man nur die Schwierigkeiten wahrnimmt, gibt man schnell auf, aber die eigentliche Frage ist, was Gott heute für die Gemeinde geplant hat. Die Herausforderungen zwingen uns, Gott mehr Fragen zu stellen und ihm besser zuzuhören, denn die Lage erfordert einen echten Meister, der die Arbeit nicht nur beginnen, sondern auch vollenden kann.

     

    Dr. László Szabó

    Dozent für Gemeindeaufbau und Weltmission

    Arthur Daniells Institute für Missionswissenschaften

    Theologische Hochschule Friedensau

     


     
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